Die wilden Jahre

Ausstellungskatalog, „neue gruppe saar“
saarländischer Künstlerbund, 1970

1968-1975

„Von solcher Initiative ermutigt oder auch bedrängt, geben die maßgebenden Instanzen den großen Pavillon der Modernen Galerie für die Ausstellung „Saar 69“ vom 23. Oktober bis zum 23. November 1969 frei. Es war nicht eine Ausstellung des Künstlerbundes, sondern aller saarländischen Künstler. Die notwendige Auslese traf eine von der Künstlerschaft gewählte Jury. (ihre Tätigkeit wurde statt mit Dank mit Protestdemonstrationen bedacht). Das sich weiterhin stellende Problem, wie der Raum nach Mengenproporz auf die Künstlergruppen verteilt werden könne, führte zur Gemeinschaftsausstellung „Neue Gruppe Saar“ und Saarländischer Künstlerbund. Es folgte im Mai 1970 eine Übernahme dieser Ausstellung im Bürgermeister-Ludwig-Reichert-Haus in Ludwigshafen. Sie hatten eine Gegenausstellung des Künstlerbundes Rhein-Neckar in Saarbrücken. Die Jahresausstellungen des Saarländischen Künstlerbundes konnten seitdem in der Modernen Galerie stattfinden.“
(Walter Schmeer, 60 Jahre Saarländischer Künstlerbund, 1984)

„Dass einer etwas macht, aus sich heraus, das macht ihn erst zu etwas.“

„Das Reich der Freiheit beginnt erst da, wo die von der Notwendigkeit und der äußeren Finalität determinierte Arbeit aufhört.“ Hätte Marx mit diesem Satz die Kunst gemeint, was könnte dann jeder mit seiner Freizeit anfangen!
Weshalb sich, leider, Kunst nicht verwalten lässt?
Weshalb ein Künstler-Bund ein (notwendiges) Paradox ist?
Weshalb du dich in dem Ergebnis deiner Mußestunden, dem Bild und dem Gedicht, mit wachsender Anstrengung stets deutlicher findest, während du dich in dem Ergebnis deiner Arbeitsstunden, je besser sie bezahlt sind, desto mehr verkennst?
Weshalb du deine Produktion nicht nach den Auftraggebern richten sollst, sondern, wenn möglich, deine Auftraggeber nach dir selber und, wenn nicht möglich, dich allein nach dir?
Weil die Vollkommenheit aus Abweichung entspringt, schon biologisch und wie viel mehr noch geistig.“
(Hans Leyser, Saarländischer Künstlerbund, 1968)

„Weil die Form das Chaotische braucht und der Sinn das in Frage Gestellte.
Weil die Synkope mehr ist als der Takt (sie setzt ihn gleichwohl voraus).
Weil deine Spur in das Vergängliche zu graben besser ist als tausend Kilometer Spannbeton.
Im Werkstück hat sich der Handwerker selbst produziert. An einer Kathedrale war ein Steinzuhauer möglicherweise sogar ein Künstler. An einem Hochhaus ist der kühnste Planer möglicherweise nur ein Funktionär.“
(Hans Leyser, Saarländischer Künstlerbund, 1968)

„Derart empfiehlt sich allenthalben künstlerische Tätigkeit.

Die Kunst hat viele Gegner, am gefährlichsten ist der, der sich in ihrem eigenen Betrieb versteckt. Hüte dich vor dem Snob, dem Interpreten und Kunsthistoriker (vor dem Händler nur soweit, als er mit diesem in Beziehung steht).
Der Interpret will Glätte, Perfektion. Der Schaffende reißt auf.
Das Jahrhundert lässt sich servieren. Es will nicht ergriffen sein.
Rette dich nicht in die Masche, die Mode, die Versorgung. Den Künstler macht kein Parteibuch und keine Konversion. Das Anerkannte ist für ihn kein guter Gegenstand.
„Alles fürchtet sich vor der Zeit, aber die Zeit fürchtet sich vor den Pyramiden“ sagen die Ägypter, und das heißt: wer Kunst macht, richtet die Zeit, er richtet sich nicht nach ihr.
Wer aber die Zeit verurteilt, kenne sie genau.“
(Hans Leyser, Saarländischer Künstlerbund, 1968)

„Wer die Technik unmenschlich nennt, zwinge Formen aus ihrem Schrott.
Wer Pazifist ist, studiere die Mechanismen des Kriegerischen.
Wer Soldat ist, halte sich bereit zur Gehorsamsverweigerung.
Wer ist, forsche bei den Atheisten.
Wer auf die Einbildungskraft wirkt, beherrsche die Geometrie.
Dies alles ist künstlerisch. Weshalb? Weil Phantasie dazu gehört.
Wer gestalten will, muss sich zerstören.“
(Hans Leyser, Saarländischer Künstlerbund, 1968)

„Allein schon der Generationsunterschied zwischen den Mitgliedern des „Saarländischen Künstlerbundes“, der die größte Künstlerorganisation im Saarland darstellt, bedingt auch Unterschiede in der Wahl der Themen und der Gestaltung der einzelnen Werke. Von jeher war dieser Künstlerbund eine außerordentlich tolerante Vereinigung. Es gibt in ihm keine dominierende Richtung. Nachimpressionismus und Nachexpressionismus, Abstraktion und surreale Tendenzen spiegeln sich in den Arbeiten dieser saarländischen Künstlergruppe wider…

Man wird feststellen können, dass in einem der kleinsten Länder der Bundesrepublik zahlreiche künstlerische Begabungen wirken. Ihr Schaffen geht über provinzielle Enge hinaus, wie sie unter den gegebenen Umständen, vor allem durch das Fehlen einer traditionsreichen Kulturmetropole denkbar wäre.“
(Wilhelm Weber, neue gruppe saar, saarländischer Künstlerbund, 1970)

„Vermögensbildung
Unsere Gesellschaft ist auf dem besten Weg, eine gerechtere Umverteilung und Neugliederung der Eigentumsverhältnisse zu versuchen. Die Anstrengungen auf diesem Gebiet sind erstaunlich und verblüffen auch die größten Skeptiker. Die Zeiten scheinen endgültig der Vergangenheit anzugehören, dass diejenigen, die Kapital besitzen, immer mehr daraus machen, ohne die zu beteiligen, die ihnen dazu verhelfen.

Um diesen untragbaren Zustand zu ändern wurde schon vor einiger Zeit das sogenannte Dreihundertzwölf-MarkGesetz verabschiedet. Damit war es dem Arbeitnehmer erstmals Im größeren Stil möglich, Vermögen anzuschaffen, um das Vermögensgefälle in unserem Lande endlich auf ein erträgliches Maß zu reduzieren. Denn dieses Gesetz erlaubt es dem Arbeitnehmer einen kleinen Teil seines Einkommens monatlich auf die Seite zu legen, wenn es ihm durch Konsumverzicht gelingt. Dafür erhält er dann eine Prämie, die Zusammen mit dem Angesparten Im Jahre die eindrucksvolle Summe von dreihundertzwölf Mark ausmacht. In zehn Jahren kann er also die noch eindrucksvollere Summe von über dreitausend Mark ansparen. Damit ist zum Beispiel die Beerdigung des Ernährers der Familie zumindest sichergestellt.

Doch damit nicht genug. Nach den neuen Gesetzen ist es dem Arbeitnehmer nun möglich, immer vorausgesetzt er ist sparwillig, in einem Jahr mit staatlicher Unterstützung sechshundertvierundzwanzig Mark anzusparen. Sollte der Arbeitnehmer allerdings nicht in der Lage sein, von seinem Einkommen den erforderlichen Sparbetrag abzuzweigen, ‚dann zeigt er damit eindeutig seine mangelnde Bereitschaft zum Konsumverzicht und zur Vermögensbildung. Dem sparsamen, konsumverzichtenden Arbeitnehmer dagegen wird in zehn Jahren die Summe ‚von über sechstausend Mark zustehen. Damit ist die Finanzierung seines nächsten Mittelklassewagens gesichert.

Ganz gewiss wird dieses Sechshundertvierundzwanzig-MarkGesetz nur der Anfang einer Umverteilung des Vermögens in unserem Lande sein können. Doch der erste große Schritt in diese Richtung ist getan, und die weitere Entwicklung bis zu einer gänzlichen Neuverteilung des Vermögens wird nicht mehr aufzuhalten sein. Bestimmt wird in absehbarer Zeit das achthundertsechsunddreißig und in nicht ferner Zukunft das zwölfhundertachtundvierzigmark Gesetz die Ungerechtigkeiten in der Vermögensverteilung endgültig beseitigen.“
(Manfred Römbell, Saarländischer Künstlerbund Jahresausstellung, 1975)